Ungleichbehandlung von Studierenden mit Hauptwohnsitz außerhalb Wiens beim Ticketpreis?

Stand: 14.05.2020


Die Wiener Linien verlangen seit längerer Zeit von Studierenden, die Ihren Hauptwohnsitz außerhalb Wiens haben, den doppelten Ticketpreis. Auch Studierende, die einen Nebenwohnsitz in Wien haben, müssen den erhöhten Ticketpreis bezahlen, obwohl sich diese z.B. unter der Woche in Wien zum Studieren aufhalten.

Aus folgenden Gründen ist eine solche Vorgehensweise aus rechtlicher Sicht bedenklich:


Gleichbehandlungsgebot für staatsnahe Unternehmen

Die Wiener Linien sind ein Unternehmen, dass der öffentlichen Hand gehört. Die Wiener Linien GmbH & Co KG steht mittelbar im Eigentum der Gemeinde Wien.

Gemäß Art 7 B-VG muss der Staat seine Bürger gleich behandeln. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gilt dieser Gleichbehandlungsgrundsatz auch in Angelegenheiten der sog. Privatwirtschaftsverwaltung. Auch wenn der Staat Verträge schließt, also wie ein Privater handelt, muss er seine Bürger gleichbehandeln, wenn es keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung gibt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch für ausgegliederte Unternehmen, die im Eigentum des Staates stehen.

Der unterschiedliche Ticketpreis stellt eine Ungleichbehandlung dar, weil exakt dieselbe Leistung (Fahrt in der Kernzone Wien im selben Semesterzeitraum) für exakt denselben Personenkreis (Studierende) unterschiedlich viel kostet.

Der Oberste Gerichtshof hat in einer Entscheidung vom 04.08.2010 (3 Ob 104/10f) z.B. ausgeführt, dass eine Marktgemeinde gemeindeansässige Unternehmen nicht gegenüber Unternehmen außerhalb der Marktgemeinde bevorzugen darf, soweit es um die Verlangung eines Entgelts für die Benutzung eines öffentlich zugänglichen Wegs geht. Was für Unternehmen gilt, muss somit auch für Konsumenten gelten. Eine sachliche Rechtfertigung konnte der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung nicht erblicken. Damit ist es durchaus denkbar, dass dieser Fall zur Ungleichbehandlung beim Ticketpreis ähnlich entschieden wird und somit der Vertrag über den reduzierten Ticketpreis hinaus gesetzeswidrig ist.

In einem Urteil vom 04.10.2012 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine Ungleichbehandlung von EU-Bürgern beim Ticketpreis unzulässig ist, wenn die Ermäßigung an den Bezug der österreichischen Familienbeihilfe gekoppelt wird (EuGH 04.10.2012, Rs C‑75/11).

Nachdem mit der Anknüpfung an den Hauptwohnsitz Wien auch eine indirekte Diskriminierung von EU-Bürgern, die Ihren Hauptwohnsitz z.B. in Deutschland haben, im Raum steht, kann auch damit der Anspruch begründet werden. Schließlich können sich auch EU-Bürger auf den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 B-VG genauso wie auf das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit gemäß Art 18 AEUV berufen.

An dieser möglichen Diskriminierung ändert auch der Umstand nichts, dass Ihnen Ihr Heimatbundesland unter Umständen eine unentgeltliche Förderung für das Semesterticket gewährt. Nur weil ein anderer Ihren Nachteil ausgleicht (in diesem Fall Ihr Bundesland), bedeutet das noch nicht automatisch, dass die Vorgehensweise der Wiener Linien rechtlich korrekt ist.


Möglicher Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz

Gemäß § 31 Abs 1 GlBG sind beim Zugang zu öffentlich verfügbaren Dienstleistungen unmittelbare, aber auch nur mittelbare Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit verboten. Der Begriff der ethnischen Zugehörigkeit wird weit ausgelegt (siehe RV 307 BlgNR 22. GP 14) und umfasst auch eine Ungleichbehandlung aufgrund der Herkunft. Es ist daher denkbar, dass die Anknüpfung an den Hauptwohnsitz mittelbar eine Ungleichbehandlung aufgrund der Herkunft darstellt, weil z.B. ein deutscher Staatsbürger, der in Wien studiert, nur einen Nebenwohnsitz in Wien begründet. Nachdem der Begriff der "Herkunft" nicht zwingend einen grenzüberschreitenden Bezug verlangt, ist es genauso denkbar, dass ein Studierender mit z.B. Herkunft aus Tirol aufgrund des Hauptwohnsitz-Kriteriums diskriminiert ist.

Kommt das Gleichbehandlungsgesetz zur Anwendung, so ist gemäß § 38 Abs 1 GlBG nicht nur der Vermögensschaden (also die Preisdifferenz zwischen EUR 75,- und EUR 150,-) zu ersetzen, sondern es steht auch ein immaterieller Entschädigungsanspruch für die erlittene Diskriminierung zu. Der Höhe nach beträgt dieser erfahrungsgemäß ein paar Hundert Euro (je nach richterlichem Ermessen). Der Zweck dieses immateriellen Entschädigungsanspruchs ist auch, künftige Diskriminierungen zu verhindern.


Ergebnis

Es sprechen durchaus Argumente dafür, dass aufgrund dieser Ungleichbehandlung pro Semester EUR 75,- zu viel gezahlt wurden, was aus dem Titel des sog. Bereicherungsrechts aber auch auf schadenersatzrechtlicher Grundlage zurückverlangt werden kann. Ob die Ansprüche tatsächlich zu Recht bestehen, wird letztlich von den Gerichten zu entscheiden sein.